Kapitel 9 Elternzeitreformen

9.1 Elterngeld

Im Jahr 2007 löste das Elterngeld das Erziehungsgeld als die staatliche Transferleistung für Eltern, die aufgrund der Betreuung ihrer Kinder vorübergehend nicht berufstätig sind, ab. Dabei wurde das System der Transferzahlungen erheblich verändert. Statt eines fixen Betrages von 300€, welcher bis zu einem gemeinsamen Nettoeinkommen von 30.000€ gezahlt wurde, ist die Höhe des Elterngeldes an das Nettoeinkommen des beziehenden Elternteils gebunden. Die Höhe des Transfers beträgt 67% des Nettoeinkommens vor der Geburt des Kindes, maximal aber 1800€. Die Bezugsdauer des Elterngeldes ist auf 12 Monate begrenzt. Das Erziehungsgeld konnte bis zu 24 Monate bezogen werden, wobei jedoch ab dem 7. Monat für Paare deren Nettoeinkommen 16.500 Euro überstieg die Transferzahlung reduziert wurde. Wenn das Einkommen 22.086€ überstieg, gab es keinen Anspruch auf Erziehungsgeld mehr. Die meisten Paare erhalten unter dem neuen System eine höhere Transferleistung. Insbesondere Paare mit hohem Einkommen sind besser gestellt. Negativ wirkte sich die Reform auf Eltern aus, die vor der Geburt nicht erwerbstätig waren.

[Frodermann et al. (2020)50] untersuchen den Effekt der Elterngeldreform auf das Einkommen von Müttern. Da für die Zahlung von Elterngeld oder Erziehungsgeld das Geburtsdatum entscheidend ist, kann die Elterngeldreform unter Verwendung eines Difference in Difference Ansatzes evaluiert werden. Hierbei dienen Mütter deren Kinder im letzten Quartal 2006 geboren wurden als Kontrollgruppe. Die Autorinnen verwenden administrativen Daten, die das Einkommen aller in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigten Personen für bis zu 9 Jahre nach Inkrafttreten der Reform enthalten. Somit ist es Frodermann et al. (2020) möglich, die langfristigen Auswirkungen der Elterngeldreform auf die Arbeitseinkommen der Mütter genau zu bestimmen. Die Autorinnen unterscheiden zwischen Müttern mit niedrigen und hohem Einkommen, wobei 56 Prozent in die Gruppe mit hohem Einkommen fallen. Der Effekt der Reform unterscheidet sich zwischen Müttern mit hohem und niedrigem Einkommen. Während für Mütter mit hohem Einkommen ein signifikant positiver Effekt auf das Einkommen gefunden wird, sind die Effekte für Mütter mit niedrigem Einkommen nahe bei null. Die Effektstärke ist am größten in den Jahren eins bis drei nach der Geburt. So wird zwei Jahre nach der Geburt ein Einkommensanstieg um 9,9% für Mütter mit hohem Einkommen gemessen. Der Betrag des Effekts geht mit den Jahren etwas zurück, bleibt aber auch 9 Jahre nach der Geburt positiv.

Um den MVPF für die Elterngeldreform zu berechnen werden die von Frodermann et al. (2020) geschätzten Effekte auf das Einkommen aufsummiert und mit einer Diskontrate von 3% diskontiert. Die Summe der Einkommensänderungen beträgt im Durchschnitt 5.807,93€. Um den Anteil des Staates zu berechnen, wird ein Steuersatz von 28,1 Prozent angenommen. Dies entspricht dem Steuersatz, den eine in Vollzeit arbeitende Person im Jahr 2020 zahlt. Darin enthalten sind auch Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Die Sozialversicherungsbeiträge die für die Arbeitslosenversicherung und für die Rentenversicherung entrichtet werden müssen werden nicht als Steuer interpretiert. Es ergibt sich somit ein Anstieg der Nettoeinkommen der Mütter um 5.807,93€ ✕ (1 - 0,281) = 4.175,45€. Um die Zahlungsbereitschaft für die Reform zu ermitteln, muss zu dem gesteigerten Nettoeinkommen noch der Effekt auf die Höhe des Transfers berechnet werden. Hierfür wird vereinfacht angenommen, dass Mütter mit niedrigem Einkommen das Erziehungsgeld von 300€ über die vollen 24 Monate erhielten. Mütter mit hohem Einkommen erhalten den Transfer nur für die ersten 6 Monate. Zur Berechnung des Elterngeldes wird das durchschnittliche Nettoeinkommen welches von Frodermann et al. (2020) für die beiden Einkommensgruppen angegeben wird verwendet. Im Durchschnitt liegt die Elterngeldzahlung um 5.515,95€ über der Erziehungsgeldzahlung. Die Zahlungsbereitschaft für die Reform beträgt insgesamt 4.175,45€ + 5.515,95€ = 9.691,4€.

Zahlungsbereitschaft für Elterngeld

Die zusätzlichen Transferzahlungen in Höhe von 5.515,95€ fallen eins zu eins aufseiten des Staates als Kosten an. Der Staat profitiert von gesteigerten Steuereinnahmen in Folge von gesteigerte Einkommen der Mütter mit hohem Einkommen in Höhe von 5.807,93€ ✕ 0,281 = 1.632,49€ und kann so einen Teil der höheren Ausgaben wieder einnehmen. Die beiden Kostenkomponenten der Elterngeldreform sind in folgender Grafik dargestellt:

Kostenkomposition Elterngeld

Die Zahlungsbereitschaft für die Elterngeldreform übersteigt die Kosten. Das Kosten-Nutzen Verhältnis ausgedrückt als MVPF beträgt 2,5. Pro Euro, der in die Zahlung von Elterngeld investiert wurde, entsteht eine Zahlungsbereitschaft in Höhe von 2,5€. Es wurden in der Berechnung des MVPF für die Elterngeldreform lediglich die Mütter betrachtet. Es wäre möglich, dass das gesteigerte Einkommen der Mütter mit einem sinkenden Einkommen bei den Vätern einhergeht. Dazu macht die Studie von Frodermann et al. (2020) keine Aussage, verweist aber auf eine Studie von Kluve & Tamm (2013)51 welche keinen negativen Effekt auf das Arbeitsangebot von Vätern findet.

9.2 Betreuungsgeld

Das Betreuungsgeld stellte eine Transferleistung dar, die Familien in Anspruch nehmen konnten deren Kinder keine staatlich geförderte Kindertagesstätte besuchen. Das Betreuungsgeld sollte als Anerkennung und Unterstützung für Familien deren Kinder im privaten Umfeld betreut werden dienen. Ebenso spielte ein Gerechtigkeitsmotiv bei der Einführung eine Rolle. Für Kinder, die zu Hause betreut werden, müssen keine Betreuungsplätze an staatlich finanzierten Kindertagesstätten bereitgestellt werden. Durch das Betreuungsgeld erhalten Eltern also eine Kompensation für die erbrachte Betreuungsleistung, die sonst aus Steuermitteln finanziert werden müsste. Das Betreuungsgeld wurde 2013 bundesweit eingeführt. Es betrug 100€ und konnte für 22 Monate bezogen werden. Im Jahr 2015 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Zahlung von Betreuungsgeld nicht in den Kompetenzbereich des Bundes fällt. Das Betreuungsgeld auf Bundesebene war damit wieder abgeschafft. Lediglich in Bayern entschied man sich dazu das Betreuungsgeld weiter anzubieten.

Um die Kosten und den Nutzen der Betreuungsgeldreform zu berechnen müssen zwei Effekte abgewogen werden. Erstens, wie hoch ist die Anzahl der Kinder die aufgrund der günstigeren Anreize zu Hause betreut werden und welche Einsparungen sind dadurch zu erwarten. Zweitens muss berücksichtigt werden, dass Eltern die ihre Kinder zu Hause betreuen ein geringeres Arbeitsangebot aufweisen, geringere Arbeitseinkommen erzielen und somit weniger Steuern bezahlen. Collischon et al. (2020)52 evaluieren die Effekte der Betreuungsgeldreform auf berechtigte Mütter mit einem Difference-in-Difference Ansatz. Da Eltern nur für Kinder die nach dem 1. August 2012 geboren wurden Betreuungsgeld beziehen konnten, kann dieser Stichtag zur Identifikation der Auswirkungen der Betreuugsgeldreform genutzt werden. Entscheidend dabei ist, dass der genaue Zeitpunkt der Geburt, und damit die Berechtigung für das Betreuungsgeld quasi zufällig sind. Die Resultate von Collischon et al. (2020) zeigen, dass die Berechtigung Betreuungsgeld zu beziehen mit einer über 36 Monate aufsummierten Einkommensreduktion von 907€ bei berechtigten Müttern einhergeht. Um den resultierenden Steuerverlust zu berechnen, wird ein Steuersatz von 28,1 Prozent angenommen. Dies entspricht dem Steuersatz, den eine in Vollzeit arbeitende Person im Jahr 2020 zahlt. In diesem Steuersatz enthalten sind auch Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Die Sozialversicherungsbeiträge für die Arbeitslosenversicherung und für die Rentenversicherung anfallen werden nicht als Steuer interpretiert. Es folgt eine Reduktion des Steueraufkommens von 907€ ✕ 0,281 = 254,94€. Die Wahrscheinlichkeit von staatlich subventionierter Kinderbetreuung Gebrauch zu machen sinkt durch den Anspruch auf Betreuungsgeld um 5,3 Prozentpunkte. Collischon et al. (2020) geben fiskalische Kosten in Höhe von 620€ pro Monat für die Bereitstellung eines Kinderbetreuungsplatzes an. Zur Berechnung des MVPFs wird angenommen, dass die Kosten für die Kinderbetreuung über den Zeitraum der Betreuungsgeldzahlung (22 Monate) eingespart werden. Es ergibt sich eine durchschnittliche Kostenreduktion von 713,35€ durch geringere Inanspruchnahme von subventionierter Kinderbetreuung pro berechtigter Mutter. Die Zahlung des Betreuungsgeldes von 100€ über 22 Monate entspricht einem Barwert von 1.161,42€, wenn Zahlungen die im zweiten Jahr anfallen mit einer Diskontrate von 3% abgezinst werden. Die Zahlung des Betreuungsgeldes ist die letzte Kostenkomponente der Betreungsgeldreform.

Kostenkomposition Betreungsgeldreform

Um die Zahlungsbereitschaft für die Reform zu ermitteln wird unterschieden zwischen Müttern, die auch ohne die Reform ihr Kind zu Hause betreut hätten und Müttern die aufgrund des Betreuungsgeldes nicht von staatlich geförderter Kinderbetreuung Gebrauch machen. Erstere Gruppe stellt einen Anteil von 90% unter den Bezieherinnen von Betreuungsgeld dar. Für diese Gruppe stellt das Betreuungsgeld einen Mitnahmeeffekt in Höhe des erhaltenen Transfers dar. Insgesamt beziehen 53,5% der berechtigten Mütter Betreuungsgeld. Es ergibt sich eine Wertschätzung von 1.046,36€. Für Mütter, die ihr Verhalten in Folge der Reform anpassen, wird eine Wertschätzung von null für das erhaltene Betreuungsgeld angenommen. Für die Inanspruchnahme des Betreuungsgeldes ist eine Verhaltensänderung erforderlich, welche unter dem bisherigen Anreizen nicht optimal gewesen wäre. Bei einer marginalen Reform sind die Kosten der Verhaltensänderung gleich dem Nutzen durch die Verhaltensänderung (Envelope Theorem). Durch Teilen der Zahlungsbereitschaft von 1.046,36€ durch die Nettokosten in Höhe von 703,01€ ergibt sich ein MVPF von 1,49. Die Einsparungen durch niedrigere Nutzung von öffentlich finanzierten Kindertagesstätten sind etwas größer als die verlorenen Steuereinnahmen. Dennoch führt das Betreuungsgeld zu erheblichen fiskalischen Kosten und ist weit davon entfernt selbstfinanzierend zu sein.

9.3 Mutterschaftsurlaubsgeld (1979)

Im Jahr 1979 wurde das sogenannte Mutterschaftsurlaubsgeld eingeführt. Dabei wurde der Zeitraum des Mutterschaftsurlaubs von zwei auf sechs Monate verlängert. In den Monaten drei bis sechs nach der Geburt erhielten alle anspruchsberechtigten Mütter ein Mutterschaftsgeld in Höhe von 750 Mark pro Monat. Ebenso besteht nach dem Ende dieser sechs Monate das Recht zur bisherigen Arbeitsstelle zurückzukehren. Die Ansprüche in den ersten beiden Monaten nach der Geburt des Kindes blieben durch die Einführung des Mutterschaftsurlaubsgeldes unverändert. Es wurde weiterhin das Durchschnittseinkommen der Mutter in den letzten drei Monaten vor der Geburt gezahlt. Die Berechtigung für Mutterschaftsurlaubsgeld wurde durch das Geburtsdatum des Kindes festgelegt. Alle Mütter deren Kind nach dem 30. Juni 1979 geboren wurde, konnten Mutterschaftsurlaubsgeld beantragen.

Dustmann & Schönberg (2011)53 untersuchen unter anderem die Auswirkungen der Reform auf den Verdienst der betroffenen Mütter und die Löhne ihrer Kinder im Alter von 28 Jahren. Hierfür nutzen Dustmann & Schönberg (2011) einen Difference-in-Difference Ansatz wobei Kinder, die kurz nach der Einführung von Mutterschaftsurlaubsgeld geboren wurden, verglichen werden mit Kindern, die kurz vor der Reform geboren wurden. Unter der Annahme, dass der Geburtszeitpunkt nicht beeinflusst werden kann, um von der Reform zu profitieren, kann so der kausale Effekt des Mutterschaftsurlaubsgeldes ermittelt werden.

Zur Berechnung des MVPFs sind zwei Ergebnisse von Dustmann & Schönberg (2011) zentral. Zunächst zeigen die Autoren, dass es keinen relevanten Effekt der Reform auf die von den Kindern im Alter von 28 Jahren erzielten Einkommen gibt. Die Berechtigung für Mutterschaftsurlaubsgeld der Mutter geht mit einem marginal um 0,07% verringertem Einkommen einher. Mithilfe dieses Wertes wird der Effekt auf das Lebenszeiteinkommen und die zu erwartenden Steuerzahlungen berechnet. Hierfür wird eine Einkommensprojektion basierend auf administrativen Daten des IABs verwendet. In der Berechnung wird angenommen, dass dieser Effekt auf das Einkommen über das gesamte Berufsleben konstant bleibt. Gemäß der Einkommensprojektion wird ein durchschnittlicher Rückgang des Lebenszeitnettoeinkommens um 135,36€ prognostiziert. Das erwartete (Lebenszeit)Steueraufkommen sinkt um 89,91€. Es handelt sich bei beiden Werten um den mit einer Diskontrate von 3% abgezinsten Barwert.

Die Zahlung des Mutterschaftsurlaubsgeldes wirkt sich auch auf das von den Müttern erzielte Einkommen aus. Dustmann & Schönberg (2011) geben einen Effekt von plus 1713.59DM auf das verfügbare Einkommen in einem Zeitraum von 40 Monaten an. Da das verfügbare Einkommen das Mutterschaftsurlaubsgeld enthält, wird davon die Höhe des Mutterschaftsurlaubsgeldes (750 DM) multipliziert mit dem Bezugszeitraum (4 Monate) und dem Anteil der beziehenden Mütter (90%) abgezogen um den Effekt auf das Nettoeinkommen zu erhalten. Der Effekt auf das Nettoeinkommen beträgt dementsprechend 1713,59DM - 4 ✕ 750DM ✕ 0.9 = -986,41DM = -504,34€. Bei einem Steuersatz von 28,1% führt dies zu einem Rückgang des Steueraufkommens um 385,66DM = 197,18€. Zusammen mit den Kosten für die Auszahlung des Mutterschaftsurlaubsgeldes in Höhe von 4 ✕ 750 DM ✕ 0.9 = 2700 DM = 1.380,48€ und dem reduzierten Steueraufkommen der Kinder (89,91€) ergeben sich fiskalische Gesamtkosten in Höhe von 3.261,51 DM = 1.667,58€.

Kostenkomposition Mutterschaftsurlaubsgeld

Der Nutzen der Reform gemessen in Zahlungsbereitschaft setzt sich aus dem Rückgang des Nettoeinkommens der Kinder (-135,36€) und der Wertschätzung der Mütter für die Zahlung des Mutterschaftsurlaubsgeldes zusammen. Für Mütter, die nicht auf die Einführung des Mutterschaftsurlaubsgeldes reagieren, also Mütter die auch ohne die Einführung des Mutterschaftsurlaubsgeldes keine Erwerbstätigkeit aufgenommen hätten, haben eine Wertschätzung in Höhe des gezahlten Mutterschaftsgeldes. Dies trifft für circa 60 Prozent der Mütter zu. Für Mütter die ihr Verhalten als Reaktion auf die Einführung des Mutterschaftsurlaubsgeldes ändern, wird eine Wertschätzung von null für das erhaltene Mutterschaftsurlaubsgeld angenommen. Für die Inanspruchnahme des Mutterschaftsurlaubsgeldes ist eine Verhaltensänderung erforderlich, welche unter dem bisherigen Anreizen nicht optimal gewesen wäre. Bei einer marginalen Reform sind die Kosten der Verhaltensänderung gleich dem Nutzen durch die Verhaltensänderung (Envelope Theorem). Die Zahlungsbereitschaft für den Erhalt des Mutterschaftsurlaubsgeldes ist daher gleich 0.6 ✕ 4 ✕ 750 DM = 1.800DM = 920,32€. Der Gesamtnutzen beträgt -135,36€ + 920,32€ = 784,97€.

Zahlungsbereitschaft Mutterschaftsurlaubsgeld

Der MVPF der Einführung des Mutterschaftsurlaubsgeldes beträgt 0,47. Es wurde ein Wert von 0,47€ pro ausgegebenen Steuereuro generiert. Trotz des eher niedrigem MVPF kann diese Reform dennoch erfolgreich gewesen sein. Mit dem auf sechs Monate verlängertem Rückkehrrecht zum bisherigem Arbeitsplatz und den Transferzahlungen entsteht insbesondere für Mütter mit niedrigen Einkommen die Möglichkeit mehr Zeit mit dem Kind in den Monaten nach der Geburt zu verbringen. Der hierdurch entstehende Nutzen kann nur schwer in Zahlungsbereitschaft ausgedrückt werden und ist daher nicht in der MVPF Rechnung erhalten.

9.4 Erziehungsgeld (1986)

Das Erziehungsgeld wurde im Jahr 1986 eingeführt und löste das Mutterschaftsurlaubsgeld ab. Die Bezugsdauer des Erziehungsgeldes betrug 8 Monate und war damit 4 Monate länger als die Bezugsdauer des Mutterschaftsurlaubsgeldes. Das Recht zur Rückkehr an die bisherige Arbeitsstelle wurde auf 10 Monate nach der Geburt ausgedehnt. Die Höhe des Transfers wurde von 750 DM pro Monat auf 600 DM reduziert. Bei maximaler Bezugsdauer war die Summe der monatlichen Zahlungen unter dem neuen System um 1800 DM höher als zuvor. Die Berechtigung für Erziehungsgeld wurde durch das Geburtsdatum des Kindes festgelegt. Alle Mütter deren Kind nach dem 1. Januar 1986 geboren wurde, erhielten Erziehungsgeld statt Mutterschaftsurlaubsgeld.

Dustmann & Schönberg (2011) untersuchen unter anderem die Auswirkungen der Reform auf das Einkommen der betroffenen Mütter und die Wahrscheinlichkeit des Kindes einen Gymnasialabschluss zu erwerben. Hierfür nutzen Dustmann & Schönberg (2011) einen Difference-in-Difference Ansatz wobei Kinder, die kurz nach der Einführung von Erziehungsgeld geboren wurden, verglichen werden mit Kindern, die kurz vor der Reform geboren wurden. Unter der Annahme, dass der Geburtszeitpunkt nicht beeinflusst werden kann um von der Reform zu profitieren, kann so der kausale Effekt der Einführung des Erziehungsgeldes ermittelt werden.

Zur Berechnung des MVPFs sind insbesondere zwei Ergebnisse von Dustmann & Schönberg (2011) relevant. Zunächst zeigen die Autoren, dass es keinen relevanten Effekt der Reform auf die Wahrscheinlichkeit das Abitur zu machen gibt. Wenn die Mutter berechtigt ist Erziehungsgeld zu beziehen, geht die Wahrscheinlichkeit Abitur zu machen für das Kind um 0,06% Prozent zurück. Mithilfe dieses Wertes wird der Effekt auf das Lebenszeiteinkommen und die zu erwartenden Steuerzahlungen berechnet. Wie bei den Bildungsreformen werden Bildungsrenditen auf Basis von administrativen Daten des IABs abgeschätzt und daraus eine Einkommensprojektion konstruiert. Gemäß der Einkommensprojektion wird ein durchschnittlicher Rückgang des Lebenszeitnettoeinkommens um 20,76€ prognostiziert. Das erwartete (Lebenszeit)Steueraufkommen sinkt um 11,4€. Es handelt sich bei beiden Werten um den mit einer Diskontrate von 3% abgezinsten Barwert. Die Zahlung des Erziehungsgeldes wirkt sich auf das von den Müttern erzielte Einkommen aus. Dustmann & Schönberg (2011) geben einen Effekt von minus 1299,15 DM auf das verfügbare Einkommen in einem Zeitraum von 40 Monaten an. Da das verfügbare Einkommen das Erziehungsgeld enthält, wird davon die Differenz zwischen den beiden Transferzahlungen (8 ✕ 600 DM - 4 ✕ 750 DM = 1800DM) gewichtet mit dem Anteil der beziehenden Mütter (80%) abgezogen um den Effekt auf das Nettoeinkommen zu erhalten. Der Effekt auf das Nettoeinkommen beträgt dementsprechend -1299,15 DM - 1800DM ✕ 0.8 = -2739,15 DM = -1400,50€. Bei einem Steuersatz von 28,1% führt dies zu einem Rückgang des Steueraufkommens um 1.070,93DM = 547,56€. Zusammen mit den Kosten für die Auszahlung des Erziehungsgeldes in Höhe von (8 ✕ 600 DM - 4 ✕ 750 DM) ✕ 0.8 = 1440 DM = 736,26€, geringfügig reduzierten Bildungsausgaben (4,93€) und dem reduzierten Steueraufkommen der Kinder (11,4€) ergeben sich fiskalische Gesamtkosten in Höhe von 2.523,57 DM = 1.290,28€. Der Effekt auf die Bildungsausgaben wurde auf Basis der reduzierten Abiturquote mithilfe von Daten des statistischen Bundesamts54 über die Ausgaben je Schüler an Gymnasien und Realschulen berechnet.

Kostenkomposition Erziehungsgeld

Der Nutzen der Reform gemessen in Zahlungsbereitschaft setzt sich aus dem Rückgang des Nettoeinkommens der Kinder (-20,76€) und der Wertschätzung der Mütter für den durch das Erziehungsgeld gesteigerten Transfer (1800 DM) zusammen. Für Mütter, die nicht auf die Einführung des Erziehungsgeldgeldes reagieren, also Mütter, die auch ohne die Einführung des Erziehungsgeldes keine Erwerbstätigkeit aufgenommen hätten, haben eine Wertschätzung in Höhe der Differenz zwischen dem Mutterschaftsurlaubsgeld und dem Erziehungsgeld. Dies trifft für circa 55 Prozent der Mütter zu. Für Mütter die ihr Verhalten als Reaktion auf die Einführung des Erziehungsgeldes ändern wird eine Wertschätzung von null für den zusätzlichen Transfer angenommen. Für die Inanspruchnahme des verlängerten Bezugszeitraums ist eine Verhaltensänderung erforderlich, welche unter dem bisherigen Anreizen nicht optimal gewesen wäre. Bei einer marginalen Reform sind die Kosten der Verhaltensänderung gleich dem Nutzen durch die Verhaltensänderung (Envelope Theorem). Die Zahlungsbereitschaft für den Erhalt des Erziehungsgeldes ist daher gleich 0.55 ✕ 1800 DM = 990DM = 506,18€. Der Gesamtnutzen beträgt -20,76€ + 506,18€ = 485,42€.

Zahlungsbereitschaft Erziehungsgeld

Der MVPF der Einführung des Erziehungsgeldes beträgt 0,38. Es wurde ein Wert von 0,38€ pro ausgegebenen Steuereuro generiert. Trotz des eher niedrigem MVPF kann diese Reform dennoch erstrebenswert gewesen sein. Mit dem auf 10 Monate verlängertem Rückkehrrecht zum bisherigem Arbeitsplatz und den zusätzlichen Transferzahlungen entsteht insbesondere für mit Mütter niedrigen Einkommen die Möglichkeit mehr Zeit mit dem Kind in den Monaten nach der Geburt zu verbringen. Der hierdurch entstehende Nutzen ist nur schwer messbar und daher nicht in der MVPF Rechnung erhalten.

9.5 Kündigungsschutzausweitung für Mütter (1992)

Im Jahr 1992 wurde der besondere Kündigungsschutz für Mütter, welcher das Recht zur Rückkehr an den bisherigen Arbeitsplatz garantiert, von 18 Monate nach der Geburt auf 36 Monate nach der Geburt ausgeweitet. Die Berechtigung für den erweiterten Kündigungsschutz wurde durch das Geburtsdatum des Kindes festgelegt. Alle Mütter deren Kind nach dem 1. Januar 1992 geboren wurde, hatten einen Rechtsanspruch nach spätestens 36 zum bisherigen Arbeitsplatz vor der Geburt zurückzukehren. Vor der Reform Bestand dieses Recht lediglich für 18 Monate nach der Geburt. Dustmann & Schönberg (2011) untersuchen unter anderem die Auswirkungen der Reform auf das Einkommen der betroffenen Mütter und die Wahrscheinlichkeit des Kindes das Gymnasium im Alter von 14 Jahren zu besuchen. Hierfür nutzen Dustmann & Schönberg (2011) einen Difference-in-Difference Ansatz wobei Kinder, die kurz nach der Ausweitung des Kündigungsschutzes geboren wurden verglichen werden mit Kindern, die kurz vor der Reform geboren wurden. Unter der Annahme, dass der Geburtszeitpunkt nicht beeinflusst werden kann, um von der Reform zu profitieren, kann so der kausale Effekt des erweiterten Kündigungsschutzes ermittelt werden.

Zur Berechnung des MVPFs sind insbesondere zwei Ergebnisse von Dustmann & Schönberg (2011) relevant. Zunächst zeigen die Autoren, dass es keinen relevanten Effekt der Reform auf die Wahrscheinlichkeit im Alter von 14 Jahren das Gymnasium zu besuchen gibt. Kinder deren Mütter über den erweiterten Kündigungsschutz verfügen haben eine um 0,56% Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit im Alter von 14 Jahren das Gymnasium zu besuchen. Es wird angenommen, dass dieser Effekt bis zum Schulabschluss bestehen bleibt. Mithilfe dieses Ergebnisses wird der Effekt auf das Lebenszeiteinkommen und die zu erwartenden Steuerzahlungen berechnet. Wie bei den Bildungsreformen werden Bildungsrenditen auf Basis von administrativen Daten des IABs abgeschätzt und daraus eine Einkommensprojektion konstruiert. Gemäß der Einkommensprojektion wird ein durchschnittlicher Rückgang des Lebenszeitnettoeinkommens um 193,72€ prognostiziert. Das erwartete (Lebenszeit)Steueraufkommen sinkt um 106,37€. Es handelt sich bei beiden Werten um den mit einer Diskontrate von 3% abgezinsten Barwert. Des Weiteren wirkt sich die Ausweitung des Kündigungsschutzes auf das von den Müttern erzielte Einkommen aus. Dustmann & Schönberg (2011) geben einen Effekt von minus 3092,42 DM auf das verfügbare Einkommen über einem Zeitraum von 40 Monaten an. Bei einem Steuersatz von 28,1% führt dies zu einem Rückgang des Steueraufkommens um 1.209,05DM = 618,18€. Zusammen mit leicht reduzierten Bildungsausgaben (46,05€) und dem reduzierten Steueraufkommen der Kinder (106,37€) ergeben sich fiskalische Gesamtkosten in Höhe von 1.327,03 DM = 678,5€. Der Effekt auf die Bildungsausgaben wurde auf Basis des niedrigeren Anteils an Schülern die das Gymnasium besuchen mithilfe von Daten des statistischen Bundesamt55 über die Ausgaben je Schüler an Gymnasien und Realschulen in Deutschland berechnet.

Kostenkomposition Kündigungsschutzausweitung

Die Zahlungsbereitschaft für die Ausweitung des Kündigungsschutzes besteht lediglich aus dem Effekt auf das Nettoeinkommen der Kinder. Diese Komponente ist gemäß der oben erwähnten Einkommensprojektion negativ und beträgt -193,72€. Dies impliziert einen negativen MVPF von -193,72 / 678,5 = -0,29. Die Reform konnte demnach keinen positiven Nutzen generieren, verursachte aber Kosten in Form von ausgebliebenen Steuerzahlungen. Es muss jedoch bei der Interpretation des MVPFs berücksichtigt werden, dass eine wichtige Komponente der Zahlungsbereitschaft in der obigen Rechnung nicht abgebildet werden kann. Die Möglichkeit mehr Zeit mit dem Kind in den 3 Jahren nach der Geburt zu verbringen und dabei die Möglichkeit zu erhalten zu dem bisherigen Job zurückzukehren kann nicht sinnvoll bepreist werden. Es ist davon auszugehen, dass die Zahlungsbereitschaft hierfür erheblich wäre.

Literatur

Collischon, Matthias, Daniel Kühnle, and Michael Oberfichtner. Cash-For-Care, or Caring for Cash? The Effects of a Home Care Subsidy on Maternal Employment, Childcare Choices, and Children’s Development.” IZA Discussion Papers, no. 13271 (2020). https://ideas.repec.org/p/iza/izadps/dp13271.html.
———. Statistisches Bundesamt: Bildungsausgaben / Ausgaben je Schülerin und Schüler,” 2019. https://www.statistischebibliothek.de/mir/receive/DESerie_mods_00002310.
Dustmann, Christian, and Uta Schönberg. Expansions in Maternity Leave Coverage and Children’s Long-Term Outcomes.” American Economic Journal: Applied Economics 4, no. 3 (2012): 190–224. https://ideas.repec.org/a/aea/aejapp/v4y2012i3p190-224.html.
Frodermann, Corinna, Katharina Wrohlich, and Aline Zucco. Parental Leave Reform and Long-Run Earnings of Mothers.” IZA Discussion Papers, no. 12935 (2020). https://ideas.repec.org/p/iza/izadps/dp12935.html.
Kluve, Jochen, and Marcus Tamm. Parental leave regulations, mothers’ labor force attachment and fathers’ childcare involvement: evidence from a natural experiment.” Journal of Population Economics 26, no. 3 (2013): 983–1005. https://ideas.repec.org/a/spr/jopoec/v26y2013i3p983-1005.html.