Kapitel 3 Bildungsreformen
3.1 Bafög Reform 1990
Im Jahr 1990 wurde die staatliche Förderung von Studierenden nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) grundlegend zugunsten der BAföG berechtigten Studierenden angepasst. Zwischen 1983 und 1989 bestand die BAföG Leistung aus einem zinsfreien Darlehen, das nach Abschluss des Studiums vollständig zurückgezahlt werden musste. Nach der Reform im Jahr 1990 wurde im Regelfall etwa die Hälfte des Darlehens als Zuschuss gewährt, der nicht zurückgezahlt werden muss. Es sollten somit die Anreize ein Universitätsstudium aufzunehmen für Studierende deren Eltern über geringe Einkommen verfügen verbessert werden. Baumgartner & Steiner (2004)6 evaluieren den Effekt der BAföG Reform auf die Anzahl an förderungsberechtigten Studierenden, die ein Studium an deutschen Universitäten aufnehmen. Es wird ein Effekt von 4 Prozentpunkten auf die Wahrscheinlichkeit ein Universitätsstudium aufzunehmen gefunden. Dieser Schätzer ist zentral für die Berechnung des MVPF.
Der Wert der Reform für die Begünstigten der Reform, also den von BAföG geförderten Studierenden, besteht aus zwei Effekte. Zunächst erhalten Studierende, die BAföG beziehen, 5.197,04 Euro (Barwert diskontiert über die Dauer des Studiums) durch die Erlassung von 50% der BAföG-Schulden. Zur Berechnung dieses Wertes wurden Daten des statistischen Bundesamts7 über die durchschnittliche Höhe der BAföG-Förderung im Jahr 1990 verwendet. Studierende, die aufgrund der BAföG Reform ein Studium aufnehmen, also diejenigen die nicht studiert hätten, wenn die Reform nicht durchgeführt worden wäre, profitieren aufgrund der hohen Bildungsrenditen in Deutschland stark von der Reform. Der Effekt der zusätzlichen Bildung wird mithilfe einer Einkommensprojektion auf Basis von administrativen Daten des IAB abgeschätzt. Es ergibt sich eine Zunahme des erwarteten Einkommens pro BAföG-Berechtigten von 4.346,74 Euro. Die Summe der Zahlungsbereitschaften für die Reform beträgt somit 9.543,78 Euro. Die beiden Effekte sind in folgender Grafik dargestellt:
Die Kosten des Staates setzen sich aus vier Komponenten zusammen. Zunächst muss der Staat auf 50% der Rückzahlung des Kredits verzichten. Es entstehen Kosten in Höhe von 5.197,04 Euro pro BAföG-Berechtigten. Die zusätzlichen Studierenden verursachen zusätzliche Bildungsausgaben in Höhe von 849,41 Euro. Die Berechnung dieser Kosten beruht auf Daten des statistischen Bundesamts8 über die jährlichen Ausgaben pro Studierenden an deutschen Universitäten. Ebenso steigt durch die zusätzlichen Studienanfänger die Anzahl an von BAföG geförderten Studenten. Diese Kostenkomponente wird auf 417,87 Euro geschätzt. Letztlich kann der Staat einen erheblichen Teil der zusätzlichen Ausgaben durch zusätzliche Steuereinnahmen zurückgewinnen. Studierende, die aufgrund der Reform ein höheres Bildungsniveau erreichen, erzielen über ihre gesamte berufliche Laufbahn höhere Bruttoeinkommen, wodurch zusätzliches Steueraufkommen generiert wird. Unter Verwendung der zuvor genannten Einkommensprojektion ergibt sich ein zusätzliches Steueraufkommen von 3.959,43 Euro pro BAföG-Berechtigten. Die Summe der Effekte auf das Budget des Staates beträgt 2.504,9 Euro. Die folgende Grafik zeigt die relative Größe der genannten Effekte:
Der Marginal Value of Public Funds ist definiert als das Verhältnis der Wert der Reform für die Begünstigten der Reform zu den fiskalischen Kosten der Reform. Folglich ergibt sich ein MVPF von 3,81 für die BAföG Reform des Jahres 1990. Pro Euro Steuergeld, der in die Finanzierung der BAföG Reform investiert wurde, erhielten BAföG berechtigte Studierende einen Wert von 3,81 Euro.
3.2 Bafög Reform 2001
Eine Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) aus dem Jahr 2001 erweiterte den Kreis der BAföG-Berechtigten. Das elterliche Einkommen, bis zu welchem die gesamte Förderung beansprucht werden kann, wurde um circa 20 Prozent angehoben. Dies hatte zur Folge, dass die Anzahl an berechtigten Studierenden um mehr als 50 Prozent zunahm. Baumgartner & Steiner (2006)9 untersuchen, inwiefern es dieser Politikmaßnahme gelang die Anzahl an Studienanfänger zu erhöhen. Mit einem Difference-in-Difference Ansatz finden die Autoren, dass die Studienanfängerquote um 1,5 Prozentpunkte gesteigert werden konnte. Zur Evaluierung dieser Reform im Rahmen des MVPF Frameworks, müssen sowohl die Wertschätzung (Zahlungsbereitschaft) der Bafög Bezieher für die Implementierung der Reform, als auch die Kosten die auf Seite des Staates entstehen berechnet werden. Die Zahlungsbereitschaft setzt sich aus zwei Komponenten zusammen. Erstens erhalten weitere Studierende nun BAföG Förderung, wovon nur circa die Hälfte zurückgezahlt werden muss. Dieser Effekt beträgt gemittelt über alle potenziellen Studienanfänger 1.600,89 Euro. Dazu kommt das gestiegene erwartete Einkommen, welches Studierende, die aufgrund des erweiterten Bafög ein Studium aufnehmen, erzielen. Zur Berechnung der Bildungsrenditen wird eine Einkommensprojektion auf Basis von Daten des IAB verwendet. Gemittelt über alle potenziellen Studienanfänger ergibt sich ein Effekt von 433,99 Euro. Eine Übersicht über die errechnete Zahlungsbereitschaft ist in folgender Grafik zu finden:
Demgegenüber stehen die fiskalischen Kosten. Hier werden drei Komponenten berücksichtigt. Die Auszahlung der BAföG-Förderung an weitere Studierende verursacht, diskontiert unter Berücksichtigung der Rückzahlung von 50% der Förderung, Kosten in Höhe von 1.638,41 Euro. Zur Berechnung dieses Wertes wurde die durchschnittliche Höhe der BAföG-Förderung im Jahr 2001 verwendet und eine durchschnittliche Studiendauer von 5 Jahren angenommen (Destatis, 2004)10. Die zusätzlichen Studienanfänger verursachen Kosten im Bildungssystem. Da deutsche Universitäten staatlich finanziert sind, kommt der Staat für die Mehrkosten des Studiums gegenüber einer Ausbildung auf. Aus Daten des statistischen Bundesamts über die Ausgaben für Universitäten11 und Berufsschulen12 errechnen sich Mehrkosten in Höhe von 79,94 Euro. Schließlich profitiert der Staatshaushalt von gestiegenen Einkommen der zusätzlichen Studienanfänger und den damit einhergehenden Einkommenssteuerzahlungen. Unter Berücksichtigung des deutschen Einkommenssteuersystems ergibt sich gemäß der verwendeten Einkommensprojektion ein diskontiertes zusätzliches Steueraufkommen in Höhe von 397,98 Euro. Die Kostenkomponenten sind in folgendem Balkendiagramm visualisiert:
Nach aufsummieren der fiskalischen Kosten und der Zahlungsbereitschaft für die Reform ergibt sich ein Kosten-Nutzen Verhältnis von 1,54.
3.3 Realschulabschluss mit Beendigung der 10. Klasse des Gymnasiums
Zwischen 1965 und 1996 wurde in allen deutschen Bundesländern die mittlere Reife, also der Realschulabschluss als Zwischenabschluss des Gymnasiums eingeführt. Mit erfolgreicher Beendigung der 10. Klasse erhalten Schüler die mittlere Reife, auch wenn sie die Oberstufe des Gymnasiums nicht abschließen. Diese Reform sollte verhindern, dass Schüler bei nicht Bestehen des Abiturs die Schule ohne Abschluss verlassen müssen. Die Reform ist insbesondere für Schüler relevant, die die Möglichkeit haben ein Gymnasium zu besuchen, aber aufgrund der Möglichkeit des späten Scheiterns in der Oberstufe sich dazu entscheiden die Realschule zu besuchen. Der Realschulabschluss nach der 10. Klasse stellt eine Versicherung gegen diesen Fall dar und könnte somit zusätzlichen Schülern den Anreiz geben das Gymnasium zu besuchen. Obergruber & Zierow (2020)13 zeigen, dass die Reform den gewünschten Effekt hatte. Die Wahrscheinlichkeit das Gymnasium erfolgreich abzuschließen stieg um 24,5 Prozentpunkte. Im Schnitt verlängerte die Reform die durchschnittliche Anzahl der Schuljahre um 0,767.
Da diese Reform keine direkten Kosten versucht, sind lediglich die vom Staat getragenen Kosten für die zusätzlichen Schuljahre am Gymnasium relevant. Aus Daten des statistischen Bundesamts14 über die finanziellen Aufwendungen pro Schüler gestaffelt nach Schulart errechnen sich zusätzliche Kosten in Höhe von 2.178,06 Euro. Diese Kosten sind kleiner als der erwartete Anstieg der Steuereinnahmen aufgrund des höheren Bildungsniveaus (7.087,74€). Zur Berechnung der Bildungsrenditen über das gesamte Berufsleben werden administrative Daten des IAB verwendet. Die Bildungsreform hatte folglich netto einen positiven Effekt auf das öffentliche Budget. Ebenso profitieren Schüler von dem Abschluss des Gymnasiums. Es wird eine Zunahme des Lebenszeitnettoeinkommens um 10.971,84 Euro prognostiziert. Die zusätzlichen Ausbildungskosten und das gesteigerte Nettoeinkommen sind in folgender Grafik gegenübergestellt:
Das Kosten-Nutzen Verhältnis, definiert als Marginal Value of Public Funds, ist somit unendlich. Es entstanden dem Staat keine Kosten; es konnte sogar zusätzliches Steueraufkommen generiert werden, während einige Schüler besser gestellt wurden durch ihr höheres Bildungsniveau.
3.4 Verlängerung der Hauptschule/Mittelschule um 1 Jahr
Alle deutschen Bundesländer haben die Schulzeit bis zum Erreichen des ersten allgemeinbildenden Schulabschlusses nach Abschluss der Hauptschule/Mittelschule - die Bezeichnung unterscheidet sich je nach Bundesland - von 8 auf 9 Jahre erhöht. Das Timing der Reform unterscheidet sich stark. Während die ersten Bundesländer, Hamburg und Schleswig-Holstein, bereits 1946 bzw. 1947 die 9. Klasse an Hauptschulen einführten, ging Bayern als letztes Bundesland diesen Schritt erst im Jahr 1969. Durch die gestaffelte Einführung der Reform ergibt sich ein natürliches Experiment, das zur Berechnung der Bildungsrendite eines zusätzlichen Schuljahres verwendet werden kann. In einem einflussreichen Papier zeigen Pischke & von Wachter (2008)15, dass die zusätzliche Schulzeit von einem Jahr keinen signifikanten Effekt auf die später erzielten Einkommen hat. Dieses Resultat überrascht, da der Großteil der internationalen Literatur stark positive Bildungsrenditen, oft im Bereich von 5%-15% pro Jahr, findet. Kamhöfer & Schmitz (2016)16 bestätigen die Ergebnisse von Pischke & von Wachter (2008). Es gibt keinen relevanten Effekt des zusätzlichen Schuljahres auf das Einkommen der direkt betroffenen Generation. Piopiunik (2014a)17 zeigt jedoch einen partiellen Effekt auf die Kindergeneration. Söhne deren Mütter die neunte Klasse der Hauptschule/Mittelschule besuchten, haben eine um 33,5 Prozentpunkte gesteigerte Wahrscheinlichkeit mindestens einen Realschulabschluss zu besitzen. Wie auch bei den anderen Bildungsreformen wird eine Einkommensprojektion verwendet um den Effekt der gestiegenen Bildung auf das Lebenszeiteinkommen und die damit verbundenen Steuerzahlungen zu berechnen. Die Zahlungsbereitschaft setzt sich aus den Effekten auf das Lebenszeitnettoeinkommen der Eltern und der Kindergeneration zusammen. Für die Elterngeneration werden die Ergebnisse von Kamhöfer & Schmitz (2016) zugrunde gelegt. Es ergibt sich ein kleiner negativer Effekt auf das Lebenszeiteinkommen von 45,56€. Der Barwert des Effekts auf die Kindergeneration beträgt 1.243,46€.
Die staatlichen Kosten setzten sich aus vier Komponenten zusammen. Zunächst wird der Effekt auf die Steuerzahlungen der Kinder und Elterngeneration berücksichtigt (921,65€ bzw. 27,55€). Dazu kommen zusätzliche Ausbildungskosten für das weitere Schuljahr in Höhe von 1.900,97 Euro. Als letztes werden noch zusätzliche Ausbildungskosten der Kindergeneration berücksichtigt. Diese betragen 136,2 Euro. Das folgende Balkendiagramm dient zur Illustration der einzelnen Komponenten.
Allgemein gilt bei dieser Reform, dass die positiven Effekte auf das Bildungsniveau und damit auch auf das Steueraufkommen erst bei der Kindergeneration eintreten. Deshalb ist die Wahl der Diskontrate, also des Zinssatzes der genutzt wird um zukünftige Geldströme abzuzinsen, essenziell. Die bisherigen Rechnungen gehen von einer Diskontrate von 3% aus. Es resultiert ein MVPF von 1,05. Bei einer niedrigeren Diskontrate von 1% wird der positive Effekt auf das öffentliche Budget durch die gestiegenen Steuerzahlungen weniger stark abgezinst. Der MVPF ist unter dieser Annahme unendlich. Die Reform wäre somit selbstfinanzierend.
3.5 Studiengebühren
Im Jahr 2005 kippte das Bundesverfassungsgericht ein seit 2001 geltendes Verbot von Studiengebühren an deutschen Hochschulen. Daraufhin wurden in den Jahren 2006 und 2007 in sieben von der Union regierten Bundesländer Studiengebühren eingeführt. Darunter befanden sich die fünf bevölkerungsreichsten Bundesländer (Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hessen), sodass die Mehrzahl der Studierenden in Deutschland Studiengebühren entrichten mussten. Die Höhe der Studiengebühren beliefen sich dabei in der Regel auf 500€ pro Semester.
Die Einführung der Studiengebühren war politisch kontrovers. Es bestand die Sorge, dass die neu eingeführten Gebühren die Studienanfängerquote reduzieren könnte. Ob dies tatsächlich zutrifft und wie groß der Effekt der Studiengebühren war, ist Gegenstand bildungsökonomischer Forschung. Der Großteil der Literatur findet einen negativen Effekt auf die Studienanfängerquote im Bereich von wenigen Prozentpunkten. Zur folgenden Kosten-Nutzen Analyse wird ein Resultat von Bruckmeier & Wigger (2014)18 verwendet. Die Autoren finden einen negativen Effekt auf die Studienanfängerquote in Höhe von 0,921 Prozentpunkten. Die Schätzung liegt damit im unteren Bereich der in der Literatur zu findenden Effekte. Um den Nutzen der Reform für die Studierenden und die Auswirkungen auf das öffentliche Budget zu bestimmen, müssen die erwarteten Lebenszeiteinkommen unterschiedliche Bildungspfade verglichen werden. Hierfür werden Daten des IAB über Durchschnittseinkommen in der Bevölkerung gestaffelt nach Alter und Bildungsabschluss verwendet, um eine Einkommensprojektion zu erstellen. Gemäß der Einkommensprojektion entspricht der Barwert eines Universitätsabschlusses 312.807€. Davon entfallen 150.020€ auf den Staat in Form von Einkommensteuerzahlungen und Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung. Da der Anteil der Studienanfänger um 0,921 Prozentpunkte zurückging, ergibt sich ein erwarteter Steuerverlust in Höhe von 312.807€ ✕ 0,921% = 1.362,42€ pro Studienberechtigten. Auf Seite der Studienberechtigten sinkt das erwartete Nettoeinkommen um (312.807€ - 150.020€) ✕ 0,921% =1.478,35€. Durch die Erhebung der Studiengebühren in Höhe von 1000€ pro Jahr fallen bei einer durchschnittlichen Studiendauer von 5 Jahren diskontierte und aufsummierte Kosten in Höhe von 4784€ an. Da nur 44% der Studienberechtigten ein Studium aufnehmen und etwa 30% der Studierenden von Studiengebühren befreit sind, müssen diese Kosten mit 0,44 ✕ 0,7 gewichtet werden. Somit werden im Durchschnitt durch die Erhebung der Studiengebühren 1.455,47€ von den Studienberechtigten zum Staat hin umverteilt. Letztlich werden weitere 280,13€ an Ausbildungskosten auf Seite des Staates durch die geringe Anzahl an Studienanfängern eingespart. Die Zusammensetzung der Zahlungsbereitschaft als auch die staatlichen Kosten sind in den folgenden Grafiken dargestellt:
Es fällt auf, dass sowohl die Zahlungsbereitschaft als auch die fiskalischen Kosten in Summe negativ sind. Dies ist zunächst nicht überraschend: durch die Einführung der Studiengebühren spart der Staat Geld. Gleichzeitig verlieren Studienberechtigte durch die Erhebung der Studiengebühren und durch die geringere Studienanfängerquote. Jedoch geht ein relevanter Teil der Einnahmen durch die Studiengebühren wieder durch niedrigere Steuereinnahmen, der im Durchschnitt nun weniger gebildeten Studienberechtigten, verloren. Der MVPF beträgt 7,86. Da sowohl der Nenner als auch der Zähler negativ sind, gibt der MVPF an wie welcher Wert aufseiten der Studienberechtigten pro Euro generierten Steueraufkommen verloren gehen. Ein zusätzlicher Euro Steueraufkommen hatte also einen Verlust von 7,86 aufseiten der Studienberechtigten zur Folge. Da die Verluste in der Zukunft liegen spielt, ist die Diskontrate, also der Zinssatz mit der in der Zukunft liegende Zahlungsströme abgezinst werden, eine zentrale Annahme. Unter der Annahme von einer Diskontrate von 1% rutscht der MVPF in den negativen Bereich. In diesem Fall würde die Reform also sowohl das erwartetes Einkommen von Studienberechtigten als auch das Budget des Staates reduzieren. Die Einnahmen aus den Studiengebühren sind hier langfristig kleiner als die Steuerverluste in Folge geringerer Bildung.
3.6 Abschaffung von Schulgebühren
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in vielen Regionen Deutschlands Schulgebühren, die bei Besuch eines Gymnasiums Schule ab der 5. Klasse erhoben wurden. Diese Gebühren wurden nach und nach in allen Bundesländern abgeschafft. Den Anfang machte dabei Bremen 1947. Als letztes wurden die Schulgebühren für Gymnasien in Rheinland-Pfalz im Jahr 1962 abgeschafft. Durch die zeitlich versetzte Abschaffung des Schulgeldes entstand ein natürliches Experiment, welches es ermöglicht den Effekt der Abschaffung des Schulgeldes auf die Absolventenzahl des Gymnasiums zu bestimmen. Riphahn (2012)19 zeigt, dass der Wegfall der Schulgebühren den Anteil der Absolventen des Gymnasiums im Durchschnitt um 9,21 Prozentpunkte steigern konnte. Ein höheres Bildungsniveau geht mit gesteigerten Einkommen einher. Zur Berechnung der Bildungsrendite eines Abiturs werden wie bei den anderen Bildungsreformen administrative Daten des IAB aus dem Jahr 2010 verwendet. Es sollte also bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden, dass die Bildungsrenditen die im Jahr 2010 in den Daten zu sehen sind nicht unbedingt den Bildungsrenditen der 1950er und 1960er Jahren entsprechen. Ebenso werden Daten über die Ausbildungskosten von Schülern an Gymnasien extrapoliert.
Die Zahlungsbereitschaft der Schüler setzt sich aus der Bildungsrendite des Abiturs gewichtet mit dem Anstieg der Abiturientenquote 1.292,75€ und dem Erlass der Schulgebühren 114,08€ zusammen:
Alle Effekte werden in Euros zum Preisniveau des Jahres 1962 ausgedrückt. Die vom Staat getragenen Kosten setzen sich aus drei Komponenten zusammen. Zunächst fallen die erlassenen Schulgebühren als unmittelbare Kosten der Reform an (114,08€). Durch die zusätzlichen Schüler, die das Gymnasium besuchen, und dadurch 3 Jahre länger im Schulsystem verbleiben, entstehen Kosten in Höhe von 490,22€. Schließlich profitiert der Staat von gestiegenen Steuereinnahmen aufgrund des im Durchschnitt gestiegenen Bildungsniveau. Der Barwert der gestiegenen Steuereinnahmen beträgt 1.292,75€ pro Schüler. Die fiskalischen Kosten der Abschaffung des Schulgeldes sind in folgender Grafik dargestellt:
Es zeigt sich, dass der Nutzen, gemessen in Zahlungsbereitschaft, die Kosten der Reform weit übersteigen. Der MVPF beträgt 28,1. Es wird also ein Wert von 28,1 Euro für die Schüler pro investierten Euro Steuergeld geschaffen.
3.7 Informations-Workshop zum Thema Studium
Peter et al. (2021)20 untersuchen die Auswirkung einer kurzen, etwa 20 minütigen, Präsentation die an Schulen in Berlin über die Chancen eines Studiums abgehalten wurde. Dabei wurde insbesondere auf die finanziellen Vorteile eines Studiums hingewiesen. Es wurden einfach verständliche Grafiken gezeigt aus denen hervorging, dass Personen die über einen Universitätsanschluss verfügen im Durchschnitt weniger oft von Arbeitslosigkeit betroffen sind und höhere Durchschnittseinkommen erzielen im Vergleich zu Personen, die eine Berufsausbildung abgeschlossen haben. Ebenso wurde auf Finanzierungsmöglichkeiten wie etwa die BAföG-Förderung hingewiesen. Zur Evaluierung des Workshops wurden zufällig Schulen ausgewählt, an denen die Präsentation gehalten wurde. Die verbleibenden Schulen dienen als Kontrollgruppe. Insgesamt waren 27 Schulen und circa 1000 Schülerinnen und Schüler Teil des von den Autorinnen durchgeführten Feldexperiments. Die Untersuchung ist Teil des Berliner-Studienberechtigten-Panels. Die Teilnehmer der Studie wurden bis zu vier Jahre nach Durchführung des Workshops jährlich im Rahmen einer Online Umfrage befragt. Es zeigt sich, dass ein Jahr nach Schulabschluss der Anteil der Schulabgänger, die ein Studium begonnen haben in der Gruppe, die am Workshop teilnahm, um 5.6 Prozentpunkte höher liegt. Ebenso liegt eine 8,4 Prozentpunkte gesteigerte Wahrscheinlichkeit vor BAföG Förderung zu erhalten. Für die Kosten-Nutzen Analyse sind die Bildungsrenditen, die mit dem Erwerb eines Universitätsabschlusses einhergehen essenziell. Wie auch bei den anderen Bildungsreformen wird mithilfe von administrativen Daten des IABs eine Einkommensprojektion erstellt aus der das zusätzliche Lebenszeiteinkommen, das mit einem Universitätsabschluss einhergeht, abgeschätzt werden kann. Nach Gewichtung dieses Effekts mit der um 5,6 Prozentpunkte gesteigerten Wahrscheinlichkeit ein Studium zu beginnen, ergibt sich ein im Erwartungswert gesteigertes Nettoeinkommen von 10.415,52€ pro Workshopteilnehmer. Des Weiteren wird der Effekt der gesteigerten BAföG-Bezugsrate berücksichtigt. Im Durchschnitt erhalten Workshopteilnehmer bei einer angenommenen Studiendauer von 5 Jahren BAföG Förderung in Höhe von 2.130,17€. Es handelt sich dabei um den mit einer Diskontrate von 3% abgezinsten Barwert. Von den 2.130,17€ müssen 865,25€ wieder zurückbezahlt werden. Da die Rückzahlung erst einige Jahre nach Abschluss des Studiums erfolgt, und weiter in der Zukunft liegende Zahlungen stärker diskontiert werden, ist der Barwert der Rückzahlung, welcher 50% der Förderung entspricht, kleiner als die Hälfte des Barwerts der Förderung. Zur Berechnung der BAföG-Förderung wurden die vom statistischen Bundesamt21 ausgewiesenen BAföG-Durchschnittssätze des Jahres 2014 verwendet. Alle Effekte zusammen ergeben den Nutzen der Workshopteilnehmer gemessen in Zahlungsbereitschaft:
Die BAföG Zahlungen fallen eins zu eins auf der Seite des Staates als Kosten an. Die BAföG Förderung kostet 2.130,17€, wovon 865,25€ zurückgezahlt werden (jeweils Barwerte). Das gesteigerte Nettoeinkommen geht mit zusätzlichen Steuereinnahmen in Höhe von 2.130,17€ einher. Die zusätzlichen Kosten für die Ausbildung der neu hinzugekommenen Studienanfänger beträgt 1.508,31€ pro Schulabgänger. Die Berechnung dieser Kosten beruht auf Daten des statistischen Bundesamts22 über die jährlichen Ausgaben pro Studierenden an deutschen Universitäten. Schließlich müssen noch die Kosten des Workshops berücksichtigt werden. Peter et al. (2021) errechnen Kosten in Höhe von 5,87€ pro Workshopteilnehmer. Alle Effekte, die das Budget des Staates betreffen sind in folgender Grafik zusammengefasst:
Insgesamt sind die Nettokosten, die der Staat zu tragen hat in Folge der Workshop Teilnahme, stark negativ. Die Kosten für den Workshop sind marginal. Die Studienanfängerquote konnte aber um rund 5 Prozentpunkte gesteigert werden. Die staatlich getragenen Kosten für das Studium und die BAföG-Zahlungen sind kleiner als die zu erwarteten zusätzliche Steuereinnahmen. Der MVPF ist somit unendlich. Das Resultat deckt sich mit der von Peter et al. (2021) selbst durchgeführten Kosten-Nutzen-Analyse. Die Autorinnen erwarten einen positiven Effekt auf das öffentliche Budget in Höhe 5753€ pro Schüler. Der Informations-Workshop war somit eine kostengünstige Möglichkeit Studienanfängerquoten zu erhöhen.
3.8 Mentoringprogramm “Rock your Life”
“Rock your Life” ist ein Mentoringprogramm für Schüler, die eine achte oder neunte Klasse der Haupt- oder Mittelschule besuchen. Das Mentoringprogramm wird an ausgewählten Schulen in tendenziell benachteiligten Stadtbezirken angeboten. Insgesamt wird Rock your Life in 42 Städten in Deutschland angeboten. Seit Beginn des Programms im Jahr 2009 nahmen 7000 Schüler an dem Programm teil. Als Mentoren agieren freiwillige Studierende von nahegelegenen Universitäten. Die Dauer einer Mentoringbeziehung ist auf circa 2 Jahre ausgelegt. Ziel des Mentoring ist es den geförderten Schülern eine berufliche Perspektive aufzuzeigen, bei Karriereentscheidungen zu beraten und allgemein das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu fördern. Zur Teilnahme an Rock your Life ist zunächst eine Bewerbung erforderlich. Die Anzahl der geeigneten Bewerber ist in der Regel größer als das Angebot an Mentoringplätzen. Durch die zufällige Einteilung geeigneter Kandidaten in eine Mentoringgruppe und eine Kontrollgruppe ist es Resnjanskij et al. (2021)23 möglich die Auswirkungen des Mentoringprogramms genau zu bestimmen. Die Autoren finden positive Effekte des Mentorings auf mehreren Ebenen. Ein aggregiertes Maß zur Abschätzung von Arbeitsmarktchancen, welches sowohl kognitive als auch verhaltensbezogene Aspekte berücksichtigt, steigt um mehr als eine halbe Standardabweichung. Die positiven Effekte beschränken sich auf Schüler die aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status kommen.
Die Studie von Resnjanskij et al. (2021) enthält bereits eine Kosten-Nutzen-Analyse. Diese wird repliziert um den MVPF zu berechnen. Die Autoren messen einen positiven Effekt des Mentoringprogramm auf die standardisierte Mathenote in Höhe von 0,294. Aus Daten der PIACC, einer internationalen Studie zur Untersuchung von Alltagsfertigkeiten Erwachsener, errechnen Resnjanskij et al. (2021) eine erwartete Steigerung des Einkommens um 7,8%, wenn die Mathenote um eine Standardabweichung höher liegt. Folglich wird durch das Mentoring eine Steigerung des Einkommens von 0,294 ✕ 7,8% = 2,3% erwartet. Dieser Effekt gilt ausschließlich für Schüler die aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status stammen. Dies trifft für 47% der geförderten Schüler zu. Für die restlichen Schüler wird kein signifikanter Effekt gefunden. Um die Veränderung des Lebenszeiteinkommens und die damit einhergehenden Steuerzahlungen zu berechnen wird, wie bei den anderen Bildungsreformen, eine Einkommensprojektion basierend Durchschnittseinkommen gestaffelt nach Bildungsgrad verwendet. Es wird angenommen, dass die geförderten Schüler von niedrigen sozioökonomischen Hintergründen über ihre gesamte berufliche Laufbahn ein um 2,3% gesteigertes Einkommen erhalten. Gemäß der Einkommensprojektion ergibt sich ein gesteigertes Lebenszeitnettoeinkommen in Höhe von 4.972,42€ pro Mentoringteilnehmer. Der Effekt auf das Steueraufkommen wird auf 3.260,38€ geschätzt. Zur abschließenden Beurteilung des Mentoringprogramms müssen noch die organisatorischen Kosten berücksichtigt werden. Diese liegen bei etwa 750 Euro pro Mentoringbeziehung und sind damit kleiner als die erwartete Zunahme des Steueraufkommens.
Das Mentoringprogramm kostete also netto nichts. Im Gegenteil, es hatte einen positiven Effekt auf das öffentliche Budget. Das Kosten-Nutzen Verhältnis, ausgedrückt als MVPF, ist somit unendlich.
3.9 Mentoringprogramm “Balu und Du”
Grundschülern, die aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status stammen, wurden im Rahmen des Programms “Balu und Du” einem Mentor zugewiesen. Die Kinder sind zu diesem Zeitpunkt ungefähr 10 Jahre alt. Die Mentoren sollen den Erwerb von neuen Ideen und Fähigkeiten fördern. Die Dauer des Mentoringprogramms ist auf ein Jahr ausgelegt. Als Mentoren kommen dabei Universitätsstudierende im Alter von 18 bis 30 Jahren zum Einsatz, die in der Regel einen Nachmittag pro Woche mit ihrem Mentee verbringen. Falk et al. (2020)24 evaluieren die Auswirkungen des Mentoringprogramms im Rahmen einer randomisierten Studie. Dabei wurden zufällig 212 aus 590 geeigneten Schülern für das Mentoringprogramm ausgewählt. Die restlichen 378 Schüler bilden die Kontrollgruppe. Die Autoren finden positive Effekte auf den langfristigen Bildungsverlauf der Kinder. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schüler in der 10. Klasse das Gymnasium besucht wird durch die Teilnahme an “Balu und Du” um 10,3 Prozentpunkte gesteigert. Ein höheres Bildungsniveau geht mit gesteigerten Einkommen über das gesamte Berufsleben einher. Zur Berechnung der Bildungsrenditen werden administrative Daten des IABs verwendet. Die Daten enthalten das Durchschnittseinkommen in der deutschen Erwerbsbevölkerung aufgeschlüsselt nach Bildungsabschluss. Daraus wird eine Einkommensprojektion erstellt, die es erlaubt den Effekt des höheren Bildungsniveaus auf das Lebenszeiteinkommen zu berechnen. Gemäß der Einkommensprojektion steigt das zu erwartenden Lebenszeitnettoeinkommen der geförderten Kinder um 6.974,35€. Zusätzlich wird ein Anstieg des Steueraufkommens von 3.880,54€ pro Mentee erwartet. Demgegenüber stehen Kosten für die Durchführung des Mentoringprogramms in Höhe von circa 1000€ pro Mentoringbeziehung.
Die Zahlungsbereitschaft für die Teilnahme an dem Mentoringprogramm ist aufgrund der gestiegenen Nettoeinkommen positiv. Die Nettokosten für die Bereitstellung des Mentoringprogramm sind negativ. Es muss netto kein Steuergeld investiert werden, um das Bildungsniveau der geförderten Schüler zu erhöhen. Der MVPF dieses Mentoringprogramms ist somit unendlich.
3.10 G8 Reform
Die Einführung des achtjährigen Gymnasiums (G8) wurde politisch kontrovers diskutiert. Ziel der Reform war es die Schulzeit zu reduzieren, ohne dabei den Lernstoff wesentlich zu verändern. Es sollten also die gleichen Inhalte in insgesamt einem Schuljahr weniger vermittelt werden. Um dies zu erreichen, wurden die Anzahl der Wochenstunden erhöht, indem zusätzlicher Unterricht am Nachmittag eingeführt wurde. Das G8 wurde zwischen 2007 und 2016 in allen Bundesländern bis auf Rheinland-Pfalz, Thüringen und Sachsen eingeführt. In Thüringen und Sachsen war das Gymnasium zuvor schon achtjährig. Rheinland-Pfalz war das einzige Bundesland, das immer am neunjährigen Gymnasium festhielt. Viele Bundesländer (u.a. Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen) kehren nach und nach wieder zum G9 zurück. Die zeitlich versetzte Einführung des G8 stellt ein natürliches Experiment dar, das es erlaubt die Auswirkungen der G8 Reform zu quantifizieren.
Marcus & Zambre (2019)25 untersuchen den Effekt der Verkürzung des Gymnasiums auf Studienanfängerquoten. Die Autoren finden, dass durch die G8 Reform der Anteil der Abiturienten die innerhalb eines Jahres nach dem Abitur ein Studium aufnehmen um 5,1 Prozentpunkte gefallen ist. Dieser Effekt ist erheblich. Zum Vergleich, die Schätzungen für die Auswirkung der Studiengebühren auf die Studienanfängerquote liegen im Bereich von 1-3 Prozentpunkten. Ebenso zeigt sich eine um einen Prozentpunkt erhöhte Wahrscheinlichkeit das Studium nicht erfolgreich abzuschließen. Personen mit Universitätsabschluss erzielen im Durchschnitt höhere Einkommen. Studienberechtigte die in Folge der G8 Reform kein Studium aufnehmen erzielen niedrigere Lebenszeiteinkommen und zahlen weniger Steuern. Um den Wert eines Universitätsabschlusses zu quantifizieren wird eine Einkommensprojektion auf Basis von Daten des IABs über Durchschnittseinkommen in der Bevölkerung gestaffelt nach Alter und Bildungsabschluss verwendet. Gemäß der Einkommensprojektion liegt der Barwert eines Universitätsabschlusses im Bereich von 300000€. Nach Gewichtung des Effekts mit der gefallenen Studienanfängerquote von 5,1 Prozentpunkten und Berücksichtigung der Steuerzahlungen entsteht über das gesamte Berufsleben gerechnet ein Nettoeinkommensverlust in Höhe von 10.811,7€. Der angegebene Wert ist der Barwert diskontiert mit einer Diskontrate von 3%. Der Staat verliert erwartete Steuerzahlungen in Höhe von 9.969,35€ pro Abiturient. Diese Ergebnisse lassen die G8-Reform zunächst nicht erstrebenswert erscheinen. Dennoch ist mit der G8 Reform ein erheblicher Vorteil verbunden. Marcus & Zambre (2019) zeigen auch, dass Abiturienten ihr Studium im Durchschnitt um knapp ein dreiviertel Jahr früher beginnen. Dadurch verschiebt sich auch der Studienabschluss nach vorne und Studierende können früher relevante Einkommen am Arbeitsmarkt erzielen. Der Wert des zusätzlichen dreiviertel Jahres ist zentral für die Berechnung des MVPFs. Es ist jedoch nicht eindeutig, welches zusätzliche Einkommen in diesem Zeitraum anfällt. Wenn ein Gehalt am Anfang des Erwerbslebens angesetzt wird, etwas das Einstiegsgehalt, dann ist mit einer Unterschätzung des Effekts zu rechnen, weil früher eintretende Lohnsteigerungen durch den früheren Berufseintritt so nicht abgebildet werden. Es wird deshalb angenommen, dass das diskontierte Gehalt im Alter von 30 Jahren multipliziert mit dem um 0,725 Jahre früheren Studienbeginn die Wertschätzung der Abiturienten für die verkürzte Schulzeit widerspiegelt (16.045,75€). Ebenso wird dieses Gehalt für die Berechnung des zusätzlichen Steueraufkommens durch den früheren Studienbeginn zugrunde gelegt. Das zusätzliche Steueraufkommen beläuft sich so auf 7.097€. Durch die geringere Anzahl an Studierenden werden Kosten in Höhe von 1.440,92€ im Bildungssystem eingespart. Hierfür wird angenommen, dass Studienberechtigte die als Folge der G8 Reform nicht studieren, anstatt eines 5-jährigen Studiums eine Ausbildung abschließen, die einen 3-jährigen Besuch einer öffentlich finanzierten Berufsschule beinhaltet. Die Berechnung dieser Einsparungen beruht auf Daten des statistischen Bundesamts26 über die jährlichen Ausgaben pro Studierenden an deutschen Universitäten. Die Zusammensetzung des Nutzens der Abiturienten und der Kosten des Staates ist den folgenden beiden Grafiken nochmals dargestellt:
Der Nutzen der Reform ist positiv. Die Einkommensverluste durch eine verringerte Studienanfängerquote können durch die kürzere Schulzeit kompensiert werden. Auf Seite des Staates entstehen zusätzliche Kosten. Die geringere Anzahl an Studienanfängern führen zu einem Rückgang der Steuereinnahmen. Diese können nicht vollständig durch den früheren Berufseintritt und die geringeren Ausgaben für Universitäten aufgefangen werden. Wenn man den Nutzen durch die Kosten teilt, ergibt sich ein MVPF von 3,66. Die G8 Reform konnte also trotz eines erheblichen negativen Effekts auf die Anzahl der Studierenden einen Wert von 3,66€ pro ausgegeben Steuereuro erzielen. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit dem Ergebnis einer Kosten-Nutzen Analyse von Marcus & Zambre (2019). Die Autoren kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass der Nutzen die Kosten der Reform übersteigt. Dennoch geht ein erheblicher Teil der potenziellen Vorzüge des G8 durch den negativen Effekt auf das Bildungsniveau verloren. Ebenfalls sollte noch angemerkt werden, dass wie bei einigen der anderen Bildungsreformen die Wahl der Diskontrate, also des Zinssatzes mit dem in der Zukunft liegende Zahlungen abgezinst werden, einen großen Effekt auf den MVPF hat. Das im Durchschnitt geringere Bildungsniveau wirkt sich langfristig über das gesamte Berufsleben aus. Der frühere Berufseinstieg liegt nur einige Jahre nach dem Abschluss des Gymnasiums. Bei einer niedrigeren Diskontrate fallen die langfristig Effekte stärker ins Gewicht und der MVPF ist niedriger. Unter der Annahme einer Diskontrate von einem Prozent wird der MVPF negativ. In diesem Fall würden die Abiturienten das neunjährige Gymnasium bevorzugen.
3.11 Aufteilung Realschule/Hauptschule ab 4. Klasse
Im Jahr 2000 fand eine Reform des bayrischen Schulsystems statt, die für die Aufteilung in Realschule und Hauptschule direkt nach der Grundschule sorgte. Vor der Schulreform fand nach Beendigung der Grundschule, also mit Abschluss der vierten Klasse, lediglich der Übertritt ans Gymnasium statt. Spätere Besucher der Haupt- und Realschule wurden bis einschließlich der sechsten Klasse gemeinsam unterrichtet. Piopiunik (2014b)27 ermittelt unter Verwendung eines Differce-in-Differene Ansatzes die Auswirkungen der Reform auf PISA-Tests im Alter von 15 Jahren. Als Vergleichsgruppen dienen die Ergebnisse von Realschulen und Hauptschulen in anderen Bundesländern als auch die PISA-Scores von nicht von der Reform betroffenen Schülern in Bayern. Piopiunik (2014b) gibt einen Reformeffekt von minus 13 PISA-Punkten an. Innerhalb eines Schuljahres wird eine Kompetenzverbesserung erreicht die in etwa 30 PISA-Punkten entspricht. Es wird deshalb angenommen, dass die Aufteilung in Realschule und Hauptschule ab der vierten Klasse äquivalent ist zu einem Rückgang der Schuljahre um 13/30 = 0,43 Schuljahre. Der Effekt eines zusätzlichen Schuljahres auf zukünftige Einkommen ist ein häufig genutztes Maß um Bildungsrenditen zu beschreiben. Der Großteil der internationalen Literatur findet Bildungsrenditen im Bereich von 5% bis 15% pro Schuljahr. In der Berechnung des MVPFs wird von einer Bildungsrendite von 7% ausgegangen. Der negative Effekt auf das Einkommen beträgt somit rund drei Prozent. Um die Veränderung des Lebenszeiteinkommens und die damit einhergehenden Steuerzahlungen zu berechnen, wird eine Einkommensprojektion basierend auf nach Alter gestaffelten Durchschnittseinkommen verwendet. Es wird ein Rückgang des Lebenszeitnettoeinkommens von 9.669,08€ und ein Rückgang der Steuerzahlungen von 6.375,88€ projiziert. In der Berechnung wurde eine Diskontrate von 3% zugrunde gelegt. Die direkten Kosten der Reform sind nur schwer auszumachen. Die Reform hatte keinen Einfluss auf die tatsächliche Anzahl an Schuljahren. Es ist davon auszugehen, dass weder Einsparungen noch Mehrkosten im Bildungssystem entstehen. Der MVPF entspricht also dem Verhältnis des Effekts auf das Nettoeinkommen -9.669,08€ zu den fiskalischen Kosten durch das niedrigere Steueraufkommen 6.375,88€ - und beträgt -1,52.